Überlagerung von Wellen und stehende Wellen
Um Wellen und deren Eigenschaften zu beschreiben, bedient man sich gewisser Modelle. Das Huygenssche Prinzip haben wir bereits im letzten Skript kennengelernt. Zur Erinnerung: Es besagt, dass jeder Punkt, der von einer Wellenfront getroffen wird, selbst Ausgangspunkt einer kugel- oder kreisförmigen Elementarwelle ist. Diese Elementarwellen von verschiedenen Punkten überlagern sich und bilden die fortschreitende Wellenfront.
Abb. 1: Reflexion
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reflexion_im_Wellenmodell.png
Das Huygenssche Prinzip eignet sich sehr gut, um die Reflexion, Brechung und Beugung von Wellen zu erklären.
Als Reflexion bezeichnet man das Zurückwerfen einer Welle an einer Grenzfläche. Unterscheiden muss man zwischen einer Reflexion an einem festen und einer Reflexion an einem losen Ende . Stellen wir uns mal wieder ein Seil vor. Bei einem festen Ende ist dieses Seil an einer Wand fest verankert, das Ende des Seils (also das letzte Atom der Welle) kann sich nicht bewegen. Bei einem losen Ende kann das Seilende mitschwingen, das letzte Atom der Welle ist also beweglich.
Ist das Seil fest verankert ist die Auslenkung am Ende zu jeder Zeit 0°. Der Wellenberg wird als Wellental reflektiert und umgekehrt. Es kommt also zu einer Phasenumkehr bzw. zu einem Phasensprung von π = 180°. Die ursprüngliche Welle und die reflektierte Welle sind gegenphasig und löschen sich aus (= destruktive Interferenz, Genaueres s. unten).
Beim losen Ende ist das Seil beweglich und das Ende somit nicht fest, z.B. wenn das Seil an einem beweglichen Haken befestigt ist. Am Ende des Seils ist die Auslenkung der Welle maximal. Hier wird der Wellenberg als Wellenberg reflektiert, es kommt zu keiner Phasenumkehr , die ursprüngliche Welle und die reflektierte Welle sind gleichphasig und interferieren konstruktiv.
Abb.2: Unterschied festes und loses Ende
Merke: Bei einer Reflexion am festen Ende kommt es zu einer Phasenumkehr und zu einer destruktiven Interferenz, bei einer Reflexion am losen Ende gibt es keine Phasenumkehr und es kommt zu konstruktiver Interferenz. Egal, ob die Reflexion am festen oder losen Ende stattfindet, es kommt immer zur Bildung einer stehenden Welle.
Trifft eine Welle gerade auf eine Grenzfläche und wird reflektiert, entsteht eine stehende Welle . Es schaut so aus, als ob die Wellenberge sich nicht mehr vor oder zurück bewegen, sondern nur noch am Platz auf und ab schwingen. Dies kommt daher, dass eine Welle vorwärts und die andere rückwärts läuft. In Summe gibt es keine Bewegung in Ausbreitungsrichtung. Das liegt daran, dass die reflektierte Welle mit sich selbst (also der ursprünglichen Welle) interferiert.
Die stehende Welle hat stets an den gleichen Stellen Wellenberge (Maxima und Minima) und Knoten (Stellen, die immer in Nulllage bleiben und scheinbar nicht schwingen). Der Abstand zwischen zwei benachbarten Knoten ist genau die Hälfte der Wellenlänge.
Derselbe Effekt kann natürlich auch auftreten, wenn zwei eigentlich verschiedene Wellen aufeinandertreffen, die "zufälligerweise" genau die gleiche Frequenz, Wellenlänge und Ausbreitungsgeschwindigkeit haben.
Trifft eine Wellenfront auf eine Grenzfläche und wird reflektiert, kann das Huygenssche Prinzip angewendet werden. Wenn die Welle schief auf die Grenzfläche trifft, kommt ein Teil der Wellenfront früher an als der andere und löst daher in der Grenzfläche früher die Elementarwellen aus. Die Überlagerung aller dieser Elementarwellen bildet wieder eine ebene Wellenfront, die reflektiert von der Grenzfläche weggeht. Anschaulich kann man sich dies anhand eines auf eine Oberfläche treffenden Lichtstrahls vorstellen, der reflektiert wird. Hier gilt das Reflexionsgesetz : Einfallswinkel α = Ausfallswinkel α‘ (siehe Kapitel geometrische Optik).
Normalerweise wird bei der Reflexion nur ein Teil der Energie der Welle reflektiert, der restliche Anteil der Welle wird gebrochen und breitet sich im zweiten Medium, welches als Grenzfläche gedient hat, weiter aus. Diese Ausbreitung im neuen Medium nennt man Transmission. Bei einer Totalreflexion wird der Lichtstrahl jedoch komplett zurückgeworfen.
Unter Brechung (manchmal auch Refraktion genannt) versteht man die Änderung in der Ausbreitungsrichtung einer Welle beim Durchtreten einer Grenzfläche. Da die Medien vor und nach der Grenzfläche verschieden sind, breitet sich die Welle vor und nach der Grenzfläche mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus. Dies gilt auch für Elementarwellen. Aufgrund der veränderten Geschwindigkeiten der Elementarwellen macht deren Überlagerung, die Wellenfront, einen Knick beim Eintritt in das andere Medium. Diese relativen Geschwindigkeitsänderungen werden mit dem Brechungsindex n beschrieben, dieser ist für jedes Medium ein fixer Wert. Der Brechungsindex von Vakuum ist z.B. n = 1, der von Wasser n = 1,3.
Mehr zur Brechung findet ihr im Kapitel Optik → geometrische Optik.
Abb.3: Brechung
Treffen zwei Wellen an einem Ort zusammen, addieren sich deren Amplituden. Folglich gilt: Treffen zwei Wellenberge aufeinander, so wird der resultierende Wellenberg höher. Man spricht von positiver oder konstruktiver Interferenz. Trifft allerdings ein Wellenberg auf ein Wellental, so wird der resultierende Wellenberg niedriger oder im Extremfall kann er sogar ganz verschwinden. Man spricht von negativer oder destruktiver Interferenz. Die Energie bzw. Information verschwindet nicht, auch wenn durch destruktive Interferenz (vorübergehend) keine Schwingung erkennbar ist. Sobald die interferierenden Abschnitte aneinander vorbeigezogen sind, wird die Energie bzw. Information, wie vor der Interferenz erkennbar, weitertransportiert.
Abb.4: Interferenz
Ist der Frequenzunterschied zweier interferierender Wellen kleiner als die Frequenzen dieser Wellen, dann entsteht Schwebung. Dabei nimmt die Amplitude der resultierenden Welle periodisch ab und wieder zu. Die Schwebung kennt man aus der Musik. Erklingen zwei Töne ähnlicher Frequenz gemeinsam, schwillt deren Lautstärke periodisch an und wieder ab.
Abb.5: Schwebung
Haben sie (stark) unterschiedliche Frequenzen, so haben sie einmal positive und einmal negative Interferenz, die sich jeweils abwechselt. Es entstehen kompliziertere Wellenformen. Diese Überlagerungen von verschiedenen Wellen haben z.B. große Auswirkung auf den Klang eines Instruments. Wenn eine Gitarre ein A spielt, klingt das ganz anders, als wenn ein Klavier oder eine Oboe das gleiche A spielt, obwohl die Grundfrequenz des Tones immer genau die gleiche ist.
In der folgenden Abbildung 5 wurden z.B. zwei Sinus-Wellen mit stark unterschiedlicher Wellenlänge addiert (interferiert):
Abb.6: Interferenz bei unterschiedlichen Wellenlängen
Nehmen wir folgende Situation an: Die Wellenfront trifft auf eine Grenzfläche, kann diese aber nur in einem sehr kleinen Bereich durchqueren und wird ansonsten absorbiert (oder reflektiert). Die entstehenden Elementarwellen haben kaum andere Elementarwellen, mit denen sie sich überlagern könnten und breiten sich kugelförmig aus. Dieses Phänomen wird als Beugung bezeichnet. Beugung tritt sowohl bei mechanischen Wellen als auch bei elektromagnetischen Wellen auf. So kann sich z.B. Licht in einen Bereich ausbreiten, in den es laut den Regeln der geometrischen Optik gar nicht gelangen sollte.
Abb. 7: Beugung
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Diffraction_through_Slit.svg
Beugung kann durch verschiedene Versuche beobachtet werden, z.B. an einem Einfachspalt, einem Doppelspalt oder an einem Gitter.
Betrachten wir zunächst einmal die Beugung am Einfachspalt. Die Verteilung der Intensität hat ein zentrales Maximum und mehrere Minima mit der Intensität 0. Außerdem gibt es weitere sogenannte Nebenmaxima, deren Intensität abnimmt, je weiter das Zentrum entfernt ist und Nebenminima, ebenfalls mit der Intensität 0. Nebenmaxima und Nebenminima gibt es unendlich viele, diese sind in der Intensität nur irgendwann so gering, dass sie nicht mehr messbar sind. Vorstellen kann man sich das ähnlich wie beim Limes in der Mathematik, die Intensität geht → 0, erreicht sie aber in der Theorie niemals exakt. Schauen wir uns dies einmal anschaulich an einer Skizze an.
Abb.8: Beugung am Einfachspalt
Das Doppelspalt-Experiment ist dir sicher noch aus der Schule geläufig. Dieses wird üblicherweise mit Licht durchgeführt, dass nur eine Wellenlänge aufweist (also monochromatisch und kohärent ist) und beweist den Wellencharakter von Licht. Man betrachtet zwei Spalte, an beiden wird die Welle gebeugt. Es kommt neben Beugung auch zur Interferenz. Durch die verschiedenen Laufzeiten ergibt sich an manchen Stellen des Schirms konstruktive und an anderen destruktive Interferenz und auch hier entstehen Intensitätsmaxima und -minima.
Genaueres zum Doppelspaltexperiment findest du im Kapitel Optik → Wellenoptik.
Es sind jedoch auch mehr als nur zwei Spalte denkbar, bei vielen Spalten spricht man von einem Gitter.
Es gilt: Beugung ist dann bemerkbar, wenn die Dimension einer Öffnung/eines Hindernisses gleich oder kleiner der Wellenlänge ist. Die Beugung spielt bei Licht nur eine Rolle, wenn sehr kleine Objekte betrachtet werden, für Schallwellen dagegen, ist Beugung ein alltägliches Phänomen. Schließlich können wir z.B. um die Ecke hören, auch wenn die Quelle des Schalls durch Hindernisse verdeckt wird. Das liegt ganz einfach daran, dass die Wellenlänge von Schall deutlich größer ist als die von Licht. Die Dimension des Hindernisses kann hier also auch viel größer sein.