Die Antikörper
1. Einleitung
Die im vorherigen Kapitel bereits erwähnten Antikörper werden auch Immunglobuline (Ig) genannt. Es handelt sich dabei um sekretorische Glykoproteine, die von Plasmazellen (ausdifferenzierten B-Lymphozyten) gebildet und in das Blutplasma abgegeben werden. Beim Menschen lassen sich die Immunglobuline entsprechend ihrer unterschiedlichen Aufgaben in fünf Gruppen einteilen:
Immunglobuline A (IgA) - Monomer oder Dimer
Immunglobuline D (IgD) - Monomer
Immunglobuline E (IgE) - Monomer
Immunglobuline G (IgG) - Monomer
Immunglobuline M (IgM) - Pentamer
IgA kann als Monomer oder Dimer (zwei Moleküle) vorkommen, sowohl IgD, IgE und IgG liegen als Monomere (ein Molekül) vor und IgM liegt als Pentamer (fünf Moleküle) vor. Sie erkennen Antigene, genauer die antigene Determinante (= Epitop), und binden daran. Sie erzeugen dadurch die humorale Immunantwort.
2. Struktur
Immunglobuline sind aus zwei identischen schweren Ketten (H) und zwei identischen leichten Ketten (L) aufgebaut, welche durch kovalente Disulfidbrücken zu einer Y-förmigen Struktur miteinander verknüpft sind (auch die Monomere bestehen aus mehreren Ketten). Abbildung 1 dient der Veranschaulichung der Y-förmigen Struktur und der verschiedenen Ketten, aus denen die Immunglobuline aufgebaut sind.
Etwas detaillierter: Die leichten Ketten bestehen aus jeweils einer variablen und einer konstanten Domäne. Bezeichnet werden diese als VL und CL. Die schweren Ketten haben jeweils eine variable und drei (IgG, IgA, IgD) bzw. 4 (IgM, IgE) konstante Domänen. Bezeichnet werden diese als VH und CH1, CH2, CH3.
Die variablen Domänen von einer leichten und einer schweren Kette bilden die Antigenbindungsstelle.
Abb. 1: Aufbau eines Antikörpers
3. Wirkung
Antikörper können verschiedene Wirkungen entfalten:
Neutralisation von Antigenen
Opsonisierung (= Markierung) durch Antikörper, was eine Phagozytose durch Fresszellen ermöglicht
Aktivierung des Komplementsystems
Antikörper, die an körpereigene Zellen binden, können Natürliche Killerzellen aktivieren, die diese dann abtöten.
Da Antikörper teilweise mehrere Antigenbindungsstellen aufweisen, kann es zur Agglutination (= Verklumpung) kommen.
4. Klassen der Antikörper
IgA wird auf allen Schleimhäuten der Atemwege, der Augen, des Magen-Darm-Trakts, des Urogenitaltrakts sowie über spezielle Drüsen rund um die Brustwarze von Müttern sezerniert und schützt dort vor Pathogenen (auch das Neugeborene). IgA kommt zum Beispiel im Speichel vor. Während IgA im Blut als Monomer vorliegt, liegt sezerniertes IgA in Form von Homodimeren (identische Dimere) vor.
IgD ist nur in extrem geringen Mengen in sezernierter Form in Blut und Lymphe vorhanden und macht weniger als 1% aller Immunglobuline aus. Die Funktionen dieses Immunglobulins sind nach wie vor nicht vollends geklärt, es kommt jedoch in der Membran der B-Lymphozyten vor und spielt eine Rolle bei der Vermehrung und Differenzierung der B-Lymphozyten.
IgE ist hauptsächlich für den Schutz gegen Parasiten (z.B. Würmer) verantwortlich und ist auch an Allergien beteiligt. IgE macht etwa 1% der Immunglobuline des menschlichen Körpers aus und hat die Fähigkeit, sich an Mastzellen und basophile Granulozyten zu binden. Aus diesem Grund ist nahezu das gesamte IgE membrangebunden, im Blut ist es praktisch nicht vorhanden. Bei Antigenkontakt wird es quervernetzt, was zur Ausschüttung von Histaminen, Granzymen etc. durch die Mastzellen und Granulozyten führt (allergische Sofortreaktion). Die ausgeschütteten Mediatoren wirken stark gefäßerweiternd, was das Herankommen anderer Immunzellen erleichtert.
IgM ist die Klasse von Antikörpern, die bei Erstkontakt mit Antigenen gebildet wird und die akute Infektionsphase einer Krankheit anzeigt. IgM ist ein Pentamer aus fünf Protein-Untereinheiten und verfügt über 10 Bindungsstellen für Antigene, was eine starke Agglutination ermöglicht. Der Antigen-Antikörperkomplex von IgM-Pentameren aktiviert den klassischen Weg des Komplementsystems. Des Weiteren werden die AB0-Blutgruppen von IgM-Antikörpern erkannt. IgM-Antikörper sind außerdem auf der Membran von B-Lymphozyten verankert.
IgG wird erst in einer verzögerten Abwehrphase (nach etwa drei Wochen) gebildet und bleibt lange erhalten. Es macht etwa 80% aller Antikörper in einem Organismus aus und ist zudem das verantwortliche Immunglobulin für die Sekundärantwort (Immunantwort auf eine erneute Infektion eines zuvor bereits überstandenen Erregers). Der Nachweis von bestimmten IgG zeigt eine durchgemachte Infektion oder eine Impfung an. Ein Beispiel ist das anti-Masern-IgG, welches ein speziell gegen das Masernvirus gerichteter Antikörper ist. Ein Nachweis dieser IgG-Klasse gilt als Zeichen einer gegenwärtigen oder früheren Infektion oder Impfung. Die Rhesusfaktor D-Antikörper sind ebenfalls von diesem Typ, was zu Komplikationen bei einer Schwangerschaft führen kann, da Immunglobulin G als einziger Antikörper plazentagängig ist. IgG wird aktiv über das Blut und die Plazenta zum Fötus transportiert und sorgt dort auch nach der Geburt für einen ersten Schutz vor Infektionen. Krankheiten mit einem angeborenen oder erworbenen Mangel an Antikörpern betreffen oft IgG. Bildet der Körper Immunglobuline gegen eigene Körperbestandteile, spricht man von einer Autoimmunkrankheit. Über zwei antigengebundene IgG wird das Komplementsystem aktiviert.
Abb. 2: Antikörperklassen
5. Gene der Antikörper
Der menschliche Organismus produziert täglich Millionen verschiedener B-Lymphozyten, welche sich zu Plasmazellen differenzieren und Antikörper produzieren. Dadurch wird gewährleistet, dass gegen möglichst alle eindringenden Antigene passende Antikörper vorhanden sind.
Aber woher kommt die Vielfalt der Antikörper, die notwendig ist, um die vielen Erreger und ihre immer neuen Mutationen zu neutralisieren? Der folgende Abschnitt erscheint komplex und ist in den vergangenen Jahren nicht zu häufig explizit abgefragt worden. Nichtsdestotrotz ist es zu empfehlen, sich auch diesen Abschnitt durchzulesen und ein Verständnis dafür zu bekommen, wieso es eine so enorme Vielfalt an Immunglobulinen gibt. Außerdem gilt zu beachten: Nur weil es in vergangenen Jahren häufig nicht abgefragt wurde, bedeutet es nicht, dass es dieses Jahr wieder so sein wird.
Aufbau der Antikörper
Die Antikörper bestehen wie zuvor bereits erwähnt aus zwei identischen schweren und zwei identischen leichten Ketten. Leichte Ketten kommen in zwei Versionen vor: κ und λ. Beide entstehen aus der Kombination von drei Genabschnitten: Bei der κ-Kette wird eine von rund 40 variablen Regionen mit einer von fünf Joining-Regionen und der konstanten Region verknüpft. Auf diese Weise entstehen 200 mögliche Gene. Mit den 120 Versionen der λ-Kette existieren insgesamt rund 320 Möglichkeiten für die leichte Kette.
Schwere Ketten entstehen analog aus der Kombination von vier Genabschnitten: Eine von rund 50 variablen Regionen wird mit einer von rund 30 Diversity-Regionen und mit einer von 6 Joining-Regionen verknüpft. Je nach Antikörpertyp wird der so entstandene variable Teil an eine der verschiedenen konstanten Regionen gekoppelt. Auf diese Weise entstehen rund 8000 Gene für die schwere Kette.
Die Kombination je einer leichten mit einer schweren Kette führt zu insgesamt 2.6 Millionen verschiedenen Antikörpern. Durch Variationen der genauen Stelle, an der die verschiedenen Regionen miteinander verknüpft werden, steigt die Anzahl der Antikörper nochmals um den Faktor 100 auf 260 Millionen.
Nach der Aktivierung eines B-Lymphozyten zur Plasmazelle führen somatische Mutationen in den bereits kombinierten Genen gemeinsam mit einer Selektion von Antikörpern, die genauer zum Antigen passen, zu einem tausendfachen Anstieg der Bindungsstärke. Damit ist erklärt, warum der Körper in der Lage ist, für beinahe jedes Antigen passende Antikörper zu bilden.